Out in the wild*

17.06.2022 – 27.06.2022

Von Les Escoumins geht es nordwärts zum Lac St. Jean.

In Roberval gibt es einen tollen kommunalen Stellplatz direkt am See, wo wir für die nächsten drei Tage bleiben.

Ein Ausflug führt uns in das verlassene Dorf Val-Jalbert.

Das Dorf wurde 1901 als Unterkunft für die Arbeiter in der Zellstoffmühle gegründet. Die Wasserkraft des 88 Meter hohen Wasserfalls wurde für den Betrieb genutzt.

Die Häuser in der Siedlung boten für damalige Verhältnisse großen Komfort: Sie wurden mit Elektrizität und fließend warmen und kaltem Wasser vom Kraftwerk versorgt. Die Arbeiter verdienten gut und brachten es zu einem bescheidenen Wohlstand. Das Dorf bot fast alles, was eine Gemeinschaft braucht: Eine Schule, Läden für die Versorgung der Bewohner, eine Post und natürlich eine Kirche.

Die Blütezeit währte nicht lange, schon 1927 wurde der Betrieb der Papiermühle eingestellt, da für den nicht transformierten mechanischen hergestellten  Zellstoff kein Markt mehr vorhanden war. Die Bewohner verließen nach und nach das Dorf, die Häuser verfielen. In den 1960er Jahren restaurierte die Gemeinde einige Gebäude und Teile der Papierfabrik und gründete „Le Village Historique de Val-Jalbert“. Bewohner in historischen Kostümen begleiten die Besucher bei ihrem Rundgang und erzählen interessante Geschichten aus der damaligen Zeit.

Im Museum der Papiermühle wird in eindrucksvollen Filmen (zum Teil mit Originalaufnahmen) der Herstellungsprozess des Zellstoffs gezeigt. Ein mühsamer, harter Arbeitsprozess, teilweise automatisiert und von Maschinen ausgeführt, aber mit viel Manpower unterstützt! Sehr beeindruckend!

Die Umgebung ist nicht minder beeindruckend: Nach einer Fahrt mit der Kabelbahn genießt man den fantastischen Ausblick auf den tosenden Wasserfall, den Fluss und das historische Dorf. In der Ferne kann man den Lac St. Jean sehen

Auf dem Weg die 700 Stufen hinunter gibt es am Wegesrand auch viel Interessantes zu sehen.

Auf dem Weg Richtung Norden besuchen wir das „Musée Amerindien“ in Mashteuiatsh.

Das Museum wird von Angehörigen der First Nations betrieben.

Wir bekommen eine großartige Einführung über die Ausstellungen und eine extra Führung durch den Außenbereich. Der Guide erzählt anschaulich und interessant vom Alltag der Ilnu: Gemeinschaft, Techniken, Ernährung, Medizin und Gesundheit in engem Zusammenwirken mit den Ressourcen und Respekt vor den Kräften der Natur. Die dort vorhandenen Materialien wurden geschickt zum Bau von Unterkünften und Kanus genutzt und fast jeder Pflanze wurde heilende Kräfte für alle möglichen Krankheiten und Verletzungen zugeschrieben. Augenzwinkernd machte der Guide darauf aufmerksam, dass die Erfolgsaussichten nicht immer sehr groß seien. Einige Extrakte und Tees haben wohl hauptsächlich psychogene Wirkstoffe. Im Sommer trafen sich alle am großen Mashteuiatsh (Lac St. Jean) und im Winter wurden die Waldgebiete aufgesucht, die Schutz vor der Kälte boten.

Nach diesen sehr anschaulichen Erzählungen über das Leben der First Nations machen wir uns nun auch auf „Out in The Wild“*. Nicht mit Kanu und Zelt, sondern mit unsrem komfortablem Wohnmobil und zuverlässigem Gefährten Sleipnir.

In unserer ersten Nacht in der „Wildnis“ müssen wir uns gegen Myriaden von Mücken wehren- es gibt kein Entkommen – selbst das Mückennetz vorm Bett bietet keinen effektiven Schutz. Unausgeschlafen geht es früh weiter.

Der nächste Platz liegt an einem Fluss und ist deutlich weniger mückenreich. Wir können unbeschwert draußen sitzen und einen kleinen Rundgang machen. Für die Nacht hat Walter Vorkehrungen getroffen: Die meisten Lüftungsschlitze an den Fenstern werden abgeklebt und die Mücken mit unserem kleinen Staubsauger einfach weggesaugt! Triumph der Technik!

Auf dem Weg nach Nemaska ins First Nation Territorium der Cree **sehen wir am Straßenrand ein Schild (unter vielen) das uns auffordert uns in der Stadt bei einer staatlichen Einrichtung zu melden (wegen der Covid Pandemie) und um Erlaubnis zu fragen, durchreisen zu dürfen.

Im Gebäude der Feuerwehr ist die lokale Covid Impf- und Teststelle untergebracht und die Mitarbeiterin versteht erst gar nicht, was wir wollen, gibt uns aber schlussendlich lachend die Erlaubnis. Das Schild an der Straße war wohl nicht entfernt worden, als die Regeln wie überall gelockert wurden…
Im First Nations Reservat wird überwiegend Englisch gesprochen, was für uns natürlich wesentlich angenehmer ist. Die Einwohner, denen wir begegnen, sind außerordentlich freundlich und hilfsbereit, oft werden wir angesprochen, woher wir kommen. Unser für hiesige Verhältnisse kleines Gefährt erregt Aufmerksamkeit.

Im Laden erfahren wir, dass im Reservat kein Alkohol verkauft werden darf, nicht einmal Bier. Deshalb sind wir nicht verwundert, dass uns ein Mann anspricht und danach fragt, ob wir wohl etwas Bier dabei hätten. Übergangslos geraten wir in eine kleine Diskussion über die Weltlage und er bedauert uns, dass wir in der „Nähe“ des Krieges in der Ukraine wohnen, und wünscht Putin ein Ticket in die Hölle.

Entlang der „Route de la Baie James“ gibt es etliche kommunale Stellplätze, die zwar keine Strom- oder Wasseranschlüsse haben, aber immer ein Plumpsklo, Mülleimer, Tische und Bänke und fast immer einen Bootslaunch. Man wird gebeten, freiwillig 5,– CAD in eine Postbox zu legen, damit der Platz weiter unterhalten werden kann. Eine tolle Möglichkeit und meistens sind die Plätze sehr idyllisch gelegen.

In diesem Gebiet befinden sich 7 große Wasserkraftwerke, die die Hälfte des Strombedarfs von Québec decken. Entsprechend riesige Anlagen und Stromtrassen sind unterwegs zu sehen.

Bei Chisabisi erreichen wir das Ufer der James Bay.

Ein Spaziergang am Meer führt uns vorbei an etlichen geschützten Unterständen, die offensichtlich für die Jagd auf Gänse eingerichtet wurden. An einem kleinen See sehen wir tatsächlich jede Menge Gänse, die sich durch uns nicht stören lassen.

Beim genauen Hinschauen bietet sich uns ein skurriles Bild, einige Gänse liegen scheinbar tot auf der Wiese, andere haben seltsam hohe Füße… alles fake – es sind Lockgänse!

Auf unserem Weg zurück machen wir einen kurzen Stopp in Chisasibi, einer typischen Siedlung im First Nations Reservat. Hier wollen wir das Museum besuchen, erwarten interessante Informationen über die Geschichte und Kultur der Cree, aber leider hat das Museum am Wochenende geschlossen, wie uns ein freundlicher Angestellter bedauernd mitteilt.

Unterwegs in Richtung Süden finden wir wieder schöne Plätze zum Verweilen, mal mehr, mal weniger Mücken, einen vorbeihuschenden Schwarzbär, einen Adler, keine Elche oder Karibus, unendliche Nadelwälder, Seen und Flüsse, eine ideale Gegend, um die Seele baumeln zu lassen.

In Amos biegen wir in westliche Richtung ab, langsam sind wir wieder in dichter besiedelten Gebieten und lassen die Wildnis erst mal hinter uns.

*Auf unserem Weg zur James Bay sprach uns ein junger Mann an und fragte sichtlich verwundert: „What are you doing here out in the wild?“ – hier gibt es wohl nicht viele Touristen – daher der Titel dieses Blogabschnitts 

** Die Geschichte der indigenen Bevölkerung Kanadas, der First Nations , wurde von Unterdrückung und Assimilationsdruck geprägt. Auch wenn die französische und britische Kolonialpolitik weniger gewalttätig als die der USA war, hat sie doch deren Kultur radikal verändert. Immer wieder gab und gibt es Auseinandersetzung um die Rechte der First Nations. Die Cree stellt die größte Gruppe dar, die an der James Bay und in der Region nördlich von Québec leben. Das gigantische Baie-James-Wasserkraftprojekt mit riesigen Stauseen betrachteten die Cree als Bedrohung ihrer auf Jagd und Fallenstellerei beruhenden Lebensweise. Ein Aufsehen erregender Prozess mündete 1975 in einem Abkommen und 1984 wurden die Cree aus der Vormundschaft des Indianerministeriums formal entlassen und besitzen seitdem alle Rechte der kanadischen Verwaltungseinheiten. 1991 unterzeichneten die Cree und Inuit einen Vertrag, der Kanada die Nutzung der Wasserkraft zugestand – gegen Kompensationszahlungen und Selbstverwaltungsrechte in einem Teil des Gebiets. Innerhalb eines Kerngebiets von 1,3%, dem Gebiet ihrer 9 Siedlungen, erhielten sie das alleinige Nutzungsrecht, in weiteren Gebieten hatten sie exklusive Jagd- und Fischrechte. Das Schulsystem vermittelt Sprache und Kultur der Cree.

Wer bewegte Bilder sehen möchte findet sie hier: https://www.youtube.com/user/wausbvond

1 Kommentar zu „Out in the wild*

  1. Matthias Ullrich Juli 5, 2022 — 11:04

    Hab den neuen Bericht über Eure „mückenreichen“ Erlebnisse mit der Zellstofffabrik und First Nation mit großem Interesse gelesen. Natürlich auch die tollen „bewegten“ Bilder. Was die kleine mini 2 so alles zu stande bringt… erstaunlich. Sehr schöne Berichte und Bilder. Vielen Dank. Erstaunlich auch, dass die native Canadians hauptsächlich English sprechen obwohl das ja wohl noch in Quebec ist, richtig? Hat das eventuell auch noch koloniale Gründe? Wurden die Cree von den Franzosen womöglich schlechter behandelt als von den Briten? Anyway, alles sehr interessant. Weiterhin gute Fahrt!

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